Stehsatz

Eine phantasievolle Arbeit von Alexander Reinecke zwischen Graffito, traditionellem Pinselstrich & dynamischem Schattenwurf

Die ungewöhnliche kalligrafische Arbeit von Alexander Reinecke nutzt moderne Einflüsse aus Streetart bzw. Graffiti-Stilen in Kombination mit tradierter Pinseltechnik. Als Materialien und Werkzeug dienten ihm Plexiglas und ein flachpinseliger Kalligrafie-Stift. Durch das stets neue, fast unendliche Möglichkeiten bietende Zusammenwirken von Licht, Perspektive und Schattenwurf entfaltet die Arbeit ihre besondere, höchst eigenständige Wirkung. Sie ist, obschon auf einfacher Grundidee aufbauend, eine Visualisierung der »coincidentia oppositorum« – also der Gleichzeitigkeit der Gegensätze: kraftvoll & fein, flüchtig & klar, ruhig & lebendig.

Fotos: Lars Reiners

 

Schriftenfest 2014 – drei Tage zu Gast in der Dresdner Offizin »Haag-Drugulin«
Die Offizin – Ein Eldorado für die Freunde des Bleisatzes

Das renommierte Haus »Haag-Drugulin« kann auf eine mehr als 180-jährige Geschichte des Druckes und Handsatzes sowie der Schriftgießerei zurückblicken. Schon der erste Eindruck nach dem Betreten der Werkstatt wird dominiert von endlosen Reihen an Schriftregalen, allesamt gefüllt mit Raritäten, kaum mehr auffindbaren Originalschnitten (wie etwa der engen Schneidler Latein) sowie einer unglaublichen Sammlung an Monotype-Matrizen. Die Schatzkammern enthalten zudem Schriftenbestände von VEB Typoart Dresden (1951 waren die Gießereien Schelter & Giesecke und Schriftgut AG Dresden zu VEB Typoart Dresden zusammengeführt worden), Bestände der ehemaligen Reichsdruckerei sowie Raritäten verschiedenster Gießereien. Nicht zuletzt verblüfft der unvergleichbare Fundus an Monotype-Matrizen, die es auch heute noch jederzeit ermöglichen, die Schriften von kleinen Graden bis hin zu größeren Schaugrößen (etwa 72 p) auf der Monotype-Supra gießen zu lassen.

Seit 1992 steht das Haus unter der Leitung von Eckehart SchumacherGebler. So zählt Haag-Drugulin heute zu einem der wenigen Betriebe in Deutschland, der sich noch dem Bleisatz mit »sorgfältiger Handarbeit« verschrieben hat.

Auf den Spuren der Futura

Die Spurensuche zur Schrift Futura (von Paul Renner) hat die Studierenden Jennifer Lutz, Sophie Schillo und Julian Schöll zum Hause »Haag-Drugulin« geführt. Herr SchumacherGebler verfügt über eine Reihe von Original-Schablonen zur Schrift Futura. Die Schablonen dienten in Verbindung mit dem Pantographen dazu, bei der Bauerschen Gießerei Schriftgußmatrizen in verschiedenen Graden für die Futura zu fertigen. Für welche Größen die jeweiligen Vorlagen gedacht waren, ist auf den Platten vermerkt. Ebenso finden sich darauf Hinweise auf verworfene oder korrigierte Zeichen.

Diese einmalige Gelegenheit bot sich uns durch die Einladung von Herrn SchumacherGebler nach Dresden. Die Gruppe, komplettiert mit den beiden leidenschaftlichen Gestalterinnen Natalie Kennepohl und Hanna Rasper, erhielt hier die Möglichkeit diese historischen Schablonen in einer kleinen Auflage von 25 Stück zu drucken.

Fachkundig unterstützt wurde das studentische Forscherteam dabei von den Mitarbeitern des Hauses: Ria Mücke, Udo Haufe, Max Lotze und Michael Märker. Unser besonderer Dank gilt hierbei Frau Ria Mücke – der Schriftsetzermeisterin des Hauses, die alle Schwierigkeiten, auf die das studentische Druckerteam stieß, geduldig und mit akkurater Hand beseitigte. Als anspruchsvolle Druckstöcke dürfen die im Hochdruckverfahren schwer abzuziehenden Schablonen angesehen werden. Nicht zuletzt deren geringe Vertiefung sowie die fein gearbeitete Strichführung, die das Buchstabenbild umschreibt, machen das häufige Auswaschen der Form notwendig, um ein brauchbares Druckergebnis zu erzielen.

Das Schriftenfest 2014

Den Abschluss unseres Besuches bildete das 2. Dresdner Schriftenfest in der Offizin. Nach dem großen Interesse, das das letztjährige, erste Schriftenfest mit dem Schwerpunkt Bodoni wecken konnte, standen im Zentrum der diesjährigen Veranstaltung die Schriften Futura und Schwabacher. Die Vorträge und Vorführungen widmeten sich beispielsweise den Schablonen der Futura, mit deren Hilfe die Schriftmatrizen gefertigt wurden, oder auch den Varianten der Schwabacher. Tatsächlich vor Ort zu begutachten waren Orignal-Matrizen aus dem 16. Jahrhundert. Parallel dazu tagte der Verein für die Schwarze Kunst, der gemeinsam mit der Offizin ein hehres Ziel verfolgt: die Weitergabe des Wissens der der Schriftgießer, Setzer und Drucker an die junge Generation des digitalen Zeitalters.

5 x Certificate of »Typographic Excellence«

Bei der diesjährigen Preisvergabe des renommierten »New Yorker Type Directors Club« wurden 5 typografische Arbeiten von Studierenden der MD.H München ausgezeichnet. Die Schriftanalyse von Kevin Kremer, Miriam Rieger und Corinna Rusker zur »Theinhardt« und die Schriftanalyse von Lars Reiners, Lea Roth, Nadine Meyer und Benedikt Lämmel zur »Stempel Garamond« erreichten Platz 2 und 3 in der »Kategorie« Studenten. Die Schriftanalyse zur »Trump Mediäval«, die Bachelorarbeit »der Dialog« sowie die freie Textarbeit das »Equilibrium« wurden mit dem »Certificate of Typographic Excellence« gewürdigt.

Die Arbeiten sind vom 23. Juli bis 17. August 2014 in München zu sehen.

Ich gratuliere!

Die Musikvisualisierung von Daniel Krategl – der Titelsong aus Tarantinos Rachewestern in vielen hundert Röllchen.

Aus einigen Schritten Entfernung betrachtet zeigt die Arbeit einen blutroten Fußabdruck innerhalb eines weißen, besser baumwollfarbenen Feldes. Der Abdruck selbst steht für den Protagonisten des Films, der zu Anfang in Ketten gelegt, barfuß, gedemütigt und gequält vom Sklavenhändler geschunden wird.

Aus der Nähe betrachtet wird dem Auge die Zusammensetzung aus einer Unmenge an kleinen, eng gewickelten Papierrollen gewahr. Lässt man den Blick nicht von oben, sondern von der Seite darüber schweifen, bemerkt man, das die Rollen unterschiedliche Höhe besitzen. Es ergibt sich somit eine Art dreidimensionales Relief. Dies bildet aber nicht – wie man vermuten könnte – den Abdruck einer Fußsohle im Untergrund, sondern ein für den Zuschauer zunächst unerklärliches Muster. Die Erklärung dieses Höhenprofils findet sich im Ausgangspunkt dieser Arbeit – dem Titelsong. Jede Papierrolle, oder vielmehr deren Höhe (die sich aus der Breite des zusammengewickelten Papierstreifens ergibt) entspricht einer Tonlage innerhalb des Songs, die Höhenunterschiede entsprechen sozusagen der Tonmodulation.

Fotos: Lars Reiners


Musikvisualisierung: 1. Semester
Carolin Ganterer
Visualisierung zu »Kelly watch the Stars«

Carolin Ganterer legt ein kunstvolles Papierobjekt als Metabild für das Lied »Kelly watch the stars« vor. Der Synthie-Pop-Klassiker aus den späten 90er Jahren regt zum Träumen an und dies mit einfachsten Mitteln. Die akribische Kirigamiarbeit, in schlichtem Weiß gehalten, lässt hierbei genug Raum für Assoziationen, visualisiert Klangfolgen, ohne dabei aufdringlich zu werden. Ganz im Sinne der Musiker.

Objektlösung – Hybrid der Gegensätze
Stefan Stork

Idee und Aufgabe bestand darin den Unterschied zwischen Statik und Dynamik zu verdeutlichen. Dem Objekt geht eine statische Grundform – ein Kubus – voran. Dicke und robuste Erdkabel bilden Rundungen im Objekt aus. Eigenwillige Bögen, kräftige Linien wuchern aus dem statischen Würfel und lassen ihn zu einem dynamisierten Körper werden. Das Objekt wirkt als eigenständige Installation – als Hybrid aus gegensätzlichen Begriffspaaren sowie Materialien.

»Certificate of Typographic Exellence« für Mia Stevanovic, Theresa Schauer, Elias Osiander, Sebastian Ibler, Marcel Menke und Ivonne Budig

Dass Schriften, deren Ursprung in der Bleisatzzeit liegt, auch heute noch für Studierende interessant sind, belegen die Analysen zur Bauer Bodoni und der Stempel Schneidler (Typografie II Sommersemester 2012) eindrucksvoll.

Die Bauer Bodoni – zu groß für ein einziges Buch

Mia Stevanovic, Theresa Schauer, Elias Osiander und Ivonne Budig haben sich liebevoll mit dem Schriftklassiker Bauer Bodoni auseinandergesetzt. Ihre Analyse besteht aus einem typografisch modern inszenierten dreibandigen Werk. »Grund dafür sei das große Interesse [gewesen], jedes Detail, das zur Entwicklung der heutigen Bauer Bodoni führte, zu umfassen«, schreibt Mia Stevanovic in ihrem Beitrag vom 5.11.2012. So beinhaltet der erste Band – neben der Entstehung der Schrift – das Werk sowie eine Annäherung an die Person Giambattista Bodoni. Im zweiten Buch erfolgt die detaillierte Analyse der Einzelzeichen und Band 3 vergleicht die digitale Variante mit der historischen Version der Bauerschen Gießerei.

Unauffällig – aber gehaltvoll

Im Gegensatz dazu kommt die Arbeit zur  Stempel Schneidler mit einem in schlichtem Grau gehaltenen Büchlein aus, das dem stillen Friedrich Hermann Ernst Schneidler auf den ersten Blick wohl gefallen hätte. Mit unbedingtem Interesse haben Marcel Menke und Sebastian Ibler der Schrift mit den »würsteligen Serifen, […] die in großen Größen nicht gut funktioniert und irgendwie knöchern wirkt«, (Beitrag vom 1.11.2012) nachgespürt und sie dadurch wohl auch ein bißchen lieben gelernt.

Die Arbeit hat sich für die Studierenden gelohnt. Ihre Schriftanalysen wurden beim TDC59 mit dem »Certificate of Typographic Excellence« ausgezeichnet und können auf der diesjährigen Ausstellung in München noch bis 4. August 2013 genauer in Augenschein genommen werden. Chapeau.

Bleisatz und typografische Kleinode
Labore et Constantia – Besuch bei Plantin-Moretus in Antwerpen

Im Juni stand die diesjährige Studienfahrt des Fachbereiches Mediadesign der MD.H München an. Ziel der teilnehmenden 31 Studierenden war die belgische Stadt Antwerpen, genauer gesagt das dortige Plantin-Moretus-Museum. Das imposante Gebäude, das als erstes Museum auf die Weltkulturerbe-Liste der UNESCO kam, beherbergt zwei der ältesten Druckpressen der Welt – gefertigt um das Jahr 1600 –, eine Vielzahl an historischen Lettern und Gußmaterial, 154 Inkunabeln sowie über 600 Handschriften, die ältesten aus dem 9. Jahrhundert.

Benannt ist das Museum nach zwei wegweisenden Typografen aus den frühen Tagen der Druckkunst, dem Wegbereiter des Kommunikationszeitalters. Christophe Plantin, ein Franzose, gründete die Druckerei und Schriftgießerei im 16. Jahrhundert, sein Schwiegersohn Jahn Moretus übernahm sie, ein Nachkomme desselben verkaufte sie schließlich an die Stadt Antwerpen, die im Jahre 1876 dann ein Museum daraus machte. Plantin zeichnete sich durch eine bis dato kaum erreichte Hingabe und Sorgfalt aus, seine Arbeiten bestechen durch eine enorme Qualität und Präzision, durch die Anwendung vorzüglicher Druckschriften, wie etwa Material von Garamont und Granjon, aber auch durch den unbedingten Anspruch an das Druckergebnis. Der Wahlspruch Platins, »Labore et Constantia« (zu deutsch »Arbeit & Ausdauer«), zeugt vom Selbstverständnis, das seiner Person und seiner Arbeit zugrunde lag.

Wie aus einer anderen Zeit: Museum Plantin-Moretus

Die Führung durch die historische Druckerei und die Schriftgießerei mag vielen Studierenden wie eine Zeitreise ins 16. Jahrhundert erschienen sein. Die Schriftgießerei umfaßte 16.000 Matritzen, 4500 Stempel und 62 Gußformen. Das Haus hatte dabei selbst keine Schriften entworfen, sondern diese bei den großen Schriftschneidern des 16. Jahrhunderts erworben. Die sehr gut erhaltene Druckerei, die Vielzahl an historischem Guß- und Satzmaterial, machten die Entstehung von Bleimatritzen, -sätzen, sowie deren Anwendung visuell nachvollziehbar, ja im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar.

Inkunabeln und handschriftliche Meisterwerke

Ein Tag im Museum erscheint im Nachhinein anhand der Vielzahl an typografischen und handschriftlichen Schätze, die es zu entdecken gab, kaum ausreichend. So bot sich uns Gelegenheit die weltberühmte Polyglottbibel (Biblia Polyglotta) Plantins, zu betrachten. Das 8 Bände umfassende Meisterwerk war in den Jahren 1568–1573 unter höchster typografischer Sorgfalt in Antwerpen entstanden und zugleich in den Sprachen Aramäisch, Griechisch, Hebräisch, Latein und Syrisch, verfasst worden.

Der Gutenbergsaal im ersten Stock des öffentlich zugänglichen Teiles des Gebäudes hütet einen wahren Schatz der Inkunabelzeit. Eine der 14 noch existierenden »36-zeiligen Bibeln«, die mit dem Original-Letternmaterial von Johannes Gensfleisch zur Laden (Gutenberg) von Albrecht Pfister in Bamberg vor dem Jahre 1461 gedruckt worden waren. Das Museum »Plantin-Moretus« ist zu Recht stolz auf seine Ausgabe, schließlich ist sie die besterhaltene Version Europas. Der feine Umgang mit dem Satzmaterial, die unterschiedlich, perfekt ausbalancierten Zeichenbreiten, die sich zu einem andächtigen dunklen Satzbild, im Stile der alten Schreibmeister fügen, hinterlassen auch heute noch bleibenden Eindruck.

Auch die handschriftliche Prager »Wenzelbibel« aus dem Jahre 1403 darf nicht unerwähnt bleiben. Das Exemplar war unvollendet geblieben und belegt die damalige Vorgehensweise des Schreibens und Einfügens von Illustrationen.

Die »Korrekturstube als Seele« einer jeden Druckerei

Balthasar I. Moretus, der Sohn Jahn Moretus’, pflegte eine enge Freundschaft mit Peter Paul Rubens. Zahlreiche Werke von ihm sind im Hause zu entdecken. Beeindruckend sind  vor allem seine Titelentwürfe, die die Wende in der Titelgestaltung in der Officina Plantiniana, so hieß die Druckerei seinerzeit, bewirkten.

»Die Seele einer Druckerei« sei die Korrekturstube; dies soll Christophe Plantin immer wieder betont haben. Im Antwerpener Haus ist diese gut erhalten und mag so manchem heutigen Gestalter aufgrund der Größe des Eichentisches die Bedeutung, die einer fehlerfreien Drucksache beizumessen ist, im Zeitalter der Bits und Bytes wieder vor Augen geführt haben.

Das Beste zum Schluss: die Originalmatrizen Garamonts

Nach Voranmeldung kann man auch die Originalmatrizen Garamonts in Augenschein nehmen. Für mich ein unbeschreiblicher Höhepunkt des Antwerpener Besuchs. Dieser für jeden Typografen unvorstellbare Schatz ist im Archiv des Hauses einsehbar – man darf ihn sogar tatsächlich in eigenen Händen halten. Ehrfürchtig, versteht sich.

Alles in allem ein lohnender Besuch voller Inspiration und respekteinflößender Historie, den sich kein Typografiebegeisterter entgehen lassen sollte – auf die für einige Teile der Sammlung notwendige Voranmeldung sei hier nochmal hingewiesen. Christophe Plantins Motto »Labore et Constantia« ist in dem einzigartig erhaltenen Gebäude bis heute lebendig geblieben.

(Bildmaterial Lars Reiners)
Evgenia Trishkina
Musikvisualisierung zu Mozarts Divertimento in F-Dur, KV247, Allegro

Filigrane Formen aus Silikon und Plastik stehen als foral anmutendes Metabild für die Heiterkeit in Mozarts Werk – seine Frohnatur. Die von Leichtigkeit getragene Visualisierung ruft das Bild von tanzenden, blau und gelb schimmernden Wassertropfen im Sonnenschein hervor.

(Fotos: Saskia Haller von Hallerstein)